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Ein Recht auf Faulheit

Ein Recht auf Faulheit

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Die Faulheit entspricht in unserer Gesellschaft weitgehend einem Laster. Sie ist moralisch wertend und als Definition für einen Menschen auch abwertend. Faulheit führt zu nichts, ist unanständig und vor allem Zeitverschwendung. Das sind mitunter die gängigsten Stereotypen. Ist das denn wirklich immer so? Müssen wir dementsprechend stets das Gegenteil sein, also fleißig, beschäftigt, produktiv. Zum Ausruhen bleibt die Nacht und ausgenommen der sieben Stunden Schlaf sollte man, ja, etwas tun.  Denn die Faulheit gilt für viele als mangelnder Wille eines Menschen, zu arbeiten oder sich anzustrengen. Die verschiedenen Interpretationen der Faulheit sind breit gefächert. In den schmeichelhaftesten Auslegungen fangen sie bei einer allgemeinen Tendenz des Menschen zur Ruhe an und steigern sich bis zum Vorurteil, faule Menschen hätten einen schlechten Charakter. Doch ist letzteres denn tatsächlich so? Ist Faulheit, und wir sprechen jetzt von echter Faulheit, also sprichwörtlich einfach mal alle fünfe gerade sein zu lassen, etwas Verwerfliches? Nicht nur die allgemeine Meinung, sondern auch mehrere Redewendungen deuten darauf hin.

So definieren wir einen negativen Kompromiss als faulen Kompromiss oder benutzen häufig den Ausdruck „fauler Hund“, wenn jemand faul ist. Das Wort faul ist so negativ belastet, dass es uns schwer fällt, etwas positives, gar tolles damit zu verbinden.

 

Der Faulheit eine Chance geben

Dennoch sollten wir es versuchen. Denn Faulheit kann nicht nur etwas tolles sein, sondern sogar grandiose Auswirkungen haben. Angefangen mit dem inneren Wohlbefinden, dem wir ganz klar ein riesen Geschenk damit machen würden. Doch darauf kommen wir später noch einmal detaillierter zurück. Auch was die Produktivität angeht, ist Faulheit ein entscheidender Faktor für Glanzleistungen.

Würde man die Faulheit auf die Leistung, die Produktivität und den damit verbundenen finanziellen Verdienst auslegen, gibt es einige Beispiele die dagegen sprechen. Denn es gibt viele Fälle von kreativen Höchstleistungen und brillanten Ideen, die nach langen Ruhephasen hervorgekommen sind. Künstler leben davon. Sie können nicht durchgehend kreativ und produktiv sein. Sie brauchen lange Phasen der Faulheit, in denen sie ihre Gedanken und Gefühle ordnen können und wieder mit einem offenen Geist an neuen Werken und Ideen arbeiten können. Wer permanent zu viel tut, in welcher Form auch immer, ist irgendwann überreizt, gestresst und nicht mehr aufnahmefähig. Da fällt jegliche Leistung weg, sie kann nicht mehr kreiert werden. Und abgesehen davon leben wir nicht nur um permanent etwas zu leisten. Dann wäre es doch gut und vor allem auch an der Zeit, sich ein bisschen Faulheit zu gönnen.

 

Soziologen plädieren für ein Recht auf Freiheit

Es ist wissenschaftlich erforscht, dass die Faulheit am Arbeitsplatz ein weitverbreitetes Phänomen ist. Experten gehen davon aus, dass Berufstätige im Durchschnitt bis zu drei Stunden am Tag im Prinzip nichts machen.

Auf der einen Seite können sie ihrem Unternehmen damit schaden, weil sie betriebswirtschaftlich in diesen drei Stunden nicht zum Ertrag des Unternehmens beitragen. Doch genauer betrachtet kann auch das Gegenteil zutreffen, denn braucht man nicht genau diese drei Stunden des Nichtstuns, um in den restlichen fünf Stunden kreativ und schlicht und ergreifend gut zu sein?

Ja, und man kann sogar einen Schritt weiter gehen, wenn man wie Microsoft Gründer Bill Gates denkt. Dieser stellt nach eigener Aussage für schwierige Jobs faule Personen ein. Der Grund ist sehr plausibel: faule Menschen gehen einen einfachen Weg und können somit effiziente und clevere Lösungen finden. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die ähnlichen Wesenszüge, die mit Faulheit verbunden sind, denn wer faul ist, ist in der Regel auch gelassen und hat viel Geduld. Diese Attituden sind für große Projekte und die Arbeit im Team wichtig. Auch bedeutende Wissenschaftler und Soziologen setzen sich für mehr Faulheit ein. So Professor Stephan Lessenich, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Leiter des Lehrstuhls für Soziologie an der LMU, befürwortet die Idee der "radikalen Arbeitszeitverkürzung". Laut Lessenich sei es in unserer Gesellschaft, die so extrem auf Leistung und Ertrag gepolt ist, nicht nur wichtig faul zu sein, sondern auch ein Recht.

 

Il dolce far niente

So nennen es die Italiener seit Jahrzehnten. Diese Aussage weckt Erinnerungen an einen Urlaub oder ein unvergessliches Wochenende. Könnte man diesen Faulheits-Zustand, oder besser gesagt, dieses dolce far niente, nicht einfach öfter als Lebensphilosophie annehmen? Vielleicht nicht immer, aber eben phasenweise. Mal ein ganzes Wochenende lang oder an einem beliebigen Tag unter der Woche.

Vor allem der Sommer eignet sich so wunderbar, um faul zu sein. Sich die Zeit nehmen, einfach mal nichts zu machen und nur zu sein. Man hat dann immer bestimmte Klischee-Bilder im Kopf. Diese wunderbare Vorstellung, in einem gemütlichen Liegestuhl zu entspannen, im besten Fall in die Ferne zu gucken und dieses Gefühl zu spüren, die Augen seien geschlossen, obwohl sie das nicht sind. Ein außergewöhnlicher Wachzustand. Es ist heiß und man lässt sich regelrecht fallen, verspürt diese Lauschigkeit und die Muskeln entspannen so sehr, dass man sich federleicht und auf eine angenehme Art angreifbar fühlt. Man träumt und verspürt dabei eine innere Ruhe und jegliche Geräuschkulisse verstummt. Herrlich, die Faulheit.

 

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Redaktion, 16.07.2015